Chinas Billigwaren - Wer verdient sich wirklich eine goldene Nase?
Unternehmer in China beuten ihre Arbeiter gnadenlos aus, streichen unverschämt hohe Gewinne ein und ruinieren nebenbei noch Arbeitsplätze in Europa - ein gängiges Klischee. Doch wie so oft ist die Wirklichkeit weit komplizierter.
Um 06.30 Uhr klingelt der Wecker für die chinesischen Wanderarbeiterinnen in einer Fabrik bei Peking. Zu sechst wohnen sie hier. Damit haben sie es noch ganz gut getroffen. Anderswo pferchen Unternehmer auch zwölf oder 14 Arbeiter in einen Raum. Yuan Tang Wei lebt und arbeitet hier schon seit über drei Jahren. Weit weg von zu Hause schuftet sie wie Millionen andere für Chinas Aufstieg: Billig, rechtlos, jederzeit ersetzbar. "Ich komme aus einer kleinen Stadt in der Provinz Shandong und habe dort nach meinem Schulabschluss keinen Job gefunden", erzählt Yuan. Deshalb arbeite sie hier. "Die ersten zwei Jahre hatte ich oft Heimweh, aber jetzt geht es schon besser."
Yuan Tang Wei verdient im Monat 800 bis 1000 Yuan, das sind umgerechnet rund 80 bis 100 Euro. "Dafür arbeiten wir regulär 48 Stunden, also sechs Tage. Aber mit den Überstunden kommen wir oft auf 55 oder 60 Stunden pro Woche."
Auf der Sonnenseite des Turbo-Kapitalismus
Auch ihr Chef macht sich auf den Weg in die Firma. Zur gleichen Zeit, eine gute Autostunde entfernt - im feineren Peking. Fabrikant Bao Jijun lebt auf der Sonnenseite des chinesischen Turbo-Kapitalismus und erinnert sich noch gut an die Zeit, als er sich selbstständig machte: "Zusammen mit meiner Frau habe ich in meiner Wohnung angefangen, Duschvorhänge für den heimischen Markt zu nähen. Das war vor vier Jahren, eine ziemlich harte Zeit. Als später die ersten kleinen Aufträge aus Europa kamen, haben wir zwei Arbeiter eingestellt", so Bao Jijun. Dann ging es bergauf: Bao baute eine Fabrik, erst zehn, dann 20 und jetzt 50 Arbeiter nähen hier Duschvorhänge, jedes Jahr rund eine Million. Gerade ist ein Auftrag aus Deutschland reingekommen. Auch Ikea zählt zu den Großkunden.
Sowohl der Chef als auch die Arbeiter in der Produktion sind "Global Player": Bao und seine Arbeiterin Tang Wei produzieren für den Weltmarkt - zu unschlagbar niedrigen Kosten und Preisen. Das gängige Globalisierungs-Klischee dahinter: Bao, der Ausbeuter, zahlt Tang Wei einen Hungerlohn, verdient sich eine goldene Nase und ruiniert nebenbei die Arbeitsplätze in Europa. Doch das will der Fabrikant so nicht stehen lassen: "Ich würde meinen Arbeitern ja gerne mehr zahlen - aber wie? Einen Vorhang herzustellen kostet mich rund 1,60 Euro, die westlichen Handelsketten geben mir 1,70 Euro. In Europa oder Amerika verkaufen sie ihn dann für 20 bis 30 Euro." Bao verdiene an einem Vorhang also höchstens zehn Cent, die ausländischen Aufkäufer das zwei- oder dreihundertfache.
Soziale Standards interessieren die Aufkäufer kaum
Doch das reicht noch nicht einmal, sie versuchen noch mehr herauszuschlagen, berichtet Bao. "Kürzlich kamen US-Aufkäufer vorbei und winkten mit einem Millionenauftrag." Den hätte er natürlich gerne bekommen. Seine Kosten für den gewünschten Duschvorhang: 1,96 Dollar. Sein Verkaufsangebot: Zwei Dollar. "Sie haben mir 1,80 Dollar angeboten", sagt Bao. "Was hätte ich denn machen sollen? Billiger kann ich nicht produzieren! Also hätte ich es bei meinen Arbeitern herausholen müssen." Das bedeutet: Weniger Lohn, längere Arbeitszeit, statt sechs eben zehn Leute pro Schlafraum. "Und am Ende heißt es, wir beuteten unsere Arbeiter aus. Den US-Aufkäufern waren meine Sozialstandards übrigens völlig egal, die haben nur mit den Schultern gezuckt. Die Europäer sind da anders. Nicht alle natürlich, aber einige zumindest."
Er hat seinen Arbeitern nichts weggenommen. Im Gegenteil: Seit Juli gibt es mehr Lohn. Und draußen baut Bao neue Arbeiter-Wohnungen, dazu einen kleinen Teich und Grünanlagen. Und auch für das Essen zahlt Arbeiterin Tang Wei nur 15 Cent. Das ist selbst für chinesische Verhältnisse fast geschenkt.
Auch Verbraucher profitieren von Dumping-Löhnen
Ikea, Baos Großkunde, kontrolliert hier gerne mal unangemeldet. Dafür sei er sogar dankbar, sagt Bao, denn gemeinsam mit den Schweden habe er seine Sozialstandards entwickelt. Aber jetzt fordern auch die plötzlich zehn Prozent Discount. Wie soll er denn, fragt er sich, all die schönen Standards halten - ohne Gewinn? Und der Wettbewerb in China ist brutal. "Wenn ich den Aufkäufern aus Europa und Amerika nicht billig genug bin, finden sie gleich um die Ecke bestimmt einen, der es noch billiger macht", so Bao. "Und die Aufkäufer halten mir auch die Preise in ganz armen Ländern vor - wie Vietnam oder Kambodscha. Die Verhandlungsmacht liegt bei den Aufkäufern, denn die agieren global. Und das nutzen die natürlich aus.
Baos Kampf um menschenwürdige Arbeitsplätze ist sicher nicht repräsentativ für China, wo Arbeiterrechte von Partei und Regierung mit Füßen getreten werden. Doch zur Wahrheit gehört auch, dass westliche Firmen und Verbraucher nur allzu gerne an Chinas Dumpinglöhnen mitverdienen.
Dossier: Chinas wirtschaftlicher Boom
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Um 06.30 Uhr klingelt der Wecker für die chinesischen Wanderarbeiterinnen in einer Fabrik bei Peking. Zu sechst wohnen sie hier. Damit haben sie es noch ganz gut getroffen. Anderswo pferchen Unternehmer auch zwölf oder 14 Arbeiter in einen Raum. Yuan Tang Wei lebt und arbeitet hier schon seit über drei Jahren. Weit weg von zu Hause schuftet sie wie Millionen andere für Chinas Aufstieg: Billig, rechtlos, jederzeit ersetzbar. "Ich komme aus einer kleinen Stadt in der Provinz Shandong und habe dort nach meinem Schulabschluss keinen Job gefunden", erzählt Yuan. Deshalb arbeite sie hier. "Die ersten zwei Jahre hatte ich oft Heimweh, aber jetzt geht es schon besser."
Yuan Tang Wei verdient im Monat 800 bis 1000 Yuan, das sind umgerechnet rund 80 bis 100 Euro. "Dafür arbeiten wir regulär 48 Stunden, also sechs Tage. Aber mit den Überstunden kommen wir oft auf 55 oder 60 Stunden pro Woche."
Auf der Sonnenseite des Turbo-Kapitalismus
Auch ihr Chef macht sich auf den Weg in die Firma. Zur gleichen Zeit, eine gute Autostunde entfernt - im feineren Peking. Fabrikant Bao Jijun lebt auf der Sonnenseite des chinesischen Turbo-Kapitalismus und erinnert sich noch gut an die Zeit, als er sich selbstständig machte: "Zusammen mit meiner Frau habe ich in meiner Wohnung angefangen, Duschvorhänge für den heimischen Markt zu nähen. Das war vor vier Jahren, eine ziemlich harte Zeit. Als später die ersten kleinen Aufträge aus Europa kamen, haben wir zwei Arbeiter eingestellt", so Bao Jijun. Dann ging es bergauf: Bao baute eine Fabrik, erst zehn, dann 20 und jetzt 50 Arbeiter nähen hier Duschvorhänge, jedes Jahr rund eine Million. Gerade ist ein Auftrag aus Deutschland reingekommen. Auch Ikea zählt zu den Großkunden.
Sowohl der Chef als auch die Arbeiter in der Produktion sind "Global Player": Bao und seine Arbeiterin Tang Wei produzieren für den Weltmarkt - zu unschlagbar niedrigen Kosten und Preisen. Das gängige Globalisierungs-Klischee dahinter: Bao, der Ausbeuter, zahlt Tang Wei einen Hungerlohn, verdient sich eine goldene Nase und ruiniert nebenbei die Arbeitsplätze in Europa. Doch das will der Fabrikant so nicht stehen lassen: "Ich würde meinen Arbeitern ja gerne mehr zahlen - aber wie? Einen Vorhang herzustellen kostet mich rund 1,60 Euro, die westlichen Handelsketten geben mir 1,70 Euro. In Europa oder Amerika verkaufen sie ihn dann für 20 bis 30 Euro." Bao verdiene an einem Vorhang also höchstens zehn Cent, die ausländischen Aufkäufer das zwei- oder dreihundertfache.
Soziale Standards interessieren die Aufkäufer kaum
Doch das reicht noch nicht einmal, sie versuchen noch mehr herauszuschlagen, berichtet Bao. "Kürzlich kamen US-Aufkäufer vorbei und winkten mit einem Millionenauftrag." Den hätte er natürlich gerne bekommen. Seine Kosten für den gewünschten Duschvorhang: 1,96 Dollar. Sein Verkaufsangebot: Zwei Dollar. "Sie haben mir 1,80 Dollar angeboten", sagt Bao. "Was hätte ich denn machen sollen? Billiger kann ich nicht produzieren! Also hätte ich es bei meinen Arbeitern herausholen müssen." Das bedeutet: Weniger Lohn, längere Arbeitszeit, statt sechs eben zehn Leute pro Schlafraum. "Und am Ende heißt es, wir beuteten unsere Arbeiter aus. Den US-Aufkäufern waren meine Sozialstandards übrigens völlig egal, die haben nur mit den Schultern gezuckt. Die Europäer sind da anders. Nicht alle natürlich, aber einige zumindest."
Er hat seinen Arbeitern nichts weggenommen. Im Gegenteil: Seit Juli gibt es mehr Lohn. Und draußen baut Bao neue Arbeiter-Wohnungen, dazu einen kleinen Teich und Grünanlagen. Und auch für das Essen zahlt Arbeiterin Tang Wei nur 15 Cent. Das ist selbst für chinesische Verhältnisse fast geschenkt.
Auch Verbraucher profitieren von Dumping-Löhnen
Ikea, Baos Großkunde, kontrolliert hier gerne mal unangemeldet. Dafür sei er sogar dankbar, sagt Bao, denn gemeinsam mit den Schweden habe er seine Sozialstandards entwickelt. Aber jetzt fordern auch die plötzlich zehn Prozent Discount. Wie soll er denn, fragt er sich, all die schönen Standards halten - ohne Gewinn? Und der Wettbewerb in China ist brutal. "Wenn ich den Aufkäufern aus Europa und Amerika nicht billig genug bin, finden sie gleich um die Ecke bestimmt einen, der es noch billiger macht", so Bao. "Und die Aufkäufer halten mir auch die Preise in ganz armen Ländern vor - wie Vietnam oder Kambodscha. Die Verhandlungsmacht liegt bei den Aufkäufern, denn die agieren global. Und das nutzen die natürlich aus.
Baos Kampf um menschenwürdige Arbeitsplätze ist sicher nicht repräsentativ für China, wo Arbeiterrechte von Partei und Regierung mit Füßen getreten werden. Doch zur Wahrheit gehört auch, dass westliche Firmen und Verbraucher nur allzu gerne an Chinas Dumpinglöhnen mitverdienen.
Dossier: Chinas wirtschaftlicher Boom
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robinhood - 8. Okt, 22:24