Nicht mehr Rechte als ein "Möbelstück"
In der Stadt der Sklavenhändler
Die Bürger von Nantes bekamen nie einen deportierten Afrikaner zu Gesicht, doch die Profiteure lebten unter ihnen
Nantes, eine französische Provinzstadt wie viele andere: Ein Hafen an der Loire-Mündung, ein bekannter Fußballclub und ein historischer Stadtkern auf der heute trocken gelegten Flußinsel Feydau. "Hier wohnten und arbeiteten die Sklavenhändler", erzählt Octave Cestor. "Im Untergeschoss lagerten sie die Stoffe und Gewürze, in den beiden Etagen darüber lebten sie, und unter dem Dach wohnte das Dienstpersonal."
Und die Sklaven? "Die kamen gar nie nach Nantes, sie wurden direkt von Afrika nach Amerika verschifft", erklärt der 59-jährige Gemeinderat aus dem karibischen Überseedepartement Martinique. "Sie waren Teil des so genannten Dreiecks-Handels: Von Europa aus fuhren die Schiffe zuerst mit Stoffen, Gewehren oder billigem Tand nach Afrika; dort tauschten sie die Ware gegen Gefangene und deportierten diese nach Übersee, um schließlich mit Gewürzen, Zucker und reichem Gewinn nach Europa zurückzukehren."
Die Reeder von Nantes trugen schätzungsweise zehn Prozent zum transatlantischen Sklavenhandel bei. Sie deportierten, wie Octave Cestor sagt, eine Million Afrikaner. Ein Viertel starb schon auf der Überfahrt, und danach hatten die Überlebenden nicht mehr Rechte als ein "Möbelstück" - so bezeichnete sie jedenfalls der "code noir", das französische Sklavengesetzbuch von 1685.
Fast alle Spuren beseitigt
"Das Verrückte ist, dass die Bewohner von Nantes kaum je einen Sklaven zu Gesicht bekamen - obwohl aus ihrer Stadt die wichtigsten Menschenhändler Frankreichs stammten und alle Anteil am Profit hatten", meint Cestor. Das war aber nur ein Grund für das "schwarze Loch" in der kommunalen Erinnerung. Der sozialistische Lokalpolitiker erzählt, er sei in Martinique selbst "wie ein Weißer" erzogen worden. Als 22-Jähriger mit der Armee erstmals auf das französische Festland gekommen, sei er in der Kaserne von Nantes als "négro" begrüßt worden. Da begann er sich mit seiner Hautfarbe und seiner Herkunft zu befassen. Und landete bei der Sklaven-Geschichte. Bei seinen Nachforschungen in der Hafenstadt stellte Cestor fest, dass fast alle Spuren getilgt worden waren. "Die Leute wussten von nichts mehr. Einzelne Nachfahren der großen Reeder-Familien staunten in den achtziger Jahren selbst, als ich ihnen ausführte, womit ihre Vorfahren ihr Geld gemacht hatten."
Als Cestor und ein paar Universitätsforscher der Stadt unrühmliche Vergangenheit Nantes ans Tageslicht bringen wollten, versuchte die städtische Bourgeoisie von Anfang an, dies abzublocken. Sie wusste also doch - sonst hätte sie sich ja nicht dagegen gesträubt. Die Sklaven-Nachfahren ließen aber nicht mehr locker. Langsam nahm Nantes Kenntnis von seinem verdrängten Geschichtskapitel. Ende der neunziger Jahre wurde aber eine neu aufgestellte Sklavenstatue im stillgelegten Hafen von Nantes von Unbekannten mutwillig zerstört. "Sie gingen vor, wie man seinerzeit Sklaven strafte - hier eine Hand abgehackt, dort ein Arm ab", erinnert sich Cestor.
Heute ist Nantes landesweit führend bei der Aufarbeitung seiner Sklavengeschichte, während andere französische Häfen wie Bordeaux, La Rochelle oder Le Havre damit erst gerade beginnen. Im Stadtrat billigten die Linke und die Rechte zusammen unlängst einen Kredit von 6,5 Millionen Euro für den Bau eines großen Memorials zur Erinnerung an die Sklaverei an der Loire im Stadtzentrum. Es erinnert von fern an ein angedocktes Sklavenschiff.
Schüler werfen Blumen in die Loire
Das Denkmal soll in drei Jahren eingeweiht werden. Dann wird man in das Unterdeck steigen und eine Ahnung von den Schrecken der Vergangenheit bekommen können. Für jedes der 3000 aus Nantes ausgelaufenen Sklavenschiffe soll eine Plakette angebracht werden.
Am heutigen Mittwoch, an dem Frankreich des Verbrechens der Sklaverei gedenken soll, wird in der Hafenstadt mit mehreren offiziellen Veranstaltungen der Opfer der Sklaverei gedacht. So werden Schulkinder Blumen in die Loire werfen. "Das sind nur ein symbolischer Akt", räumt Cestor ein. "Aber da es in Nantes keine Spuren der Sklaverei mehr gibt, müssen wir sie uns wenigstens vorstellen und uns erinnern."
(Quelle: Frankfurter Rundschau)
Die Bürger von Nantes bekamen nie einen deportierten Afrikaner zu Gesicht, doch die Profiteure lebten unter ihnen
Nantes, eine französische Provinzstadt wie viele andere: Ein Hafen an der Loire-Mündung, ein bekannter Fußballclub und ein historischer Stadtkern auf der heute trocken gelegten Flußinsel Feydau. "Hier wohnten und arbeiteten die Sklavenhändler", erzählt Octave Cestor. "Im Untergeschoss lagerten sie die Stoffe und Gewürze, in den beiden Etagen darüber lebten sie, und unter dem Dach wohnte das Dienstpersonal."
Und die Sklaven? "Die kamen gar nie nach Nantes, sie wurden direkt von Afrika nach Amerika verschifft", erklärt der 59-jährige Gemeinderat aus dem karibischen Überseedepartement Martinique. "Sie waren Teil des so genannten Dreiecks-Handels: Von Europa aus fuhren die Schiffe zuerst mit Stoffen, Gewehren oder billigem Tand nach Afrika; dort tauschten sie die Ware gegen Gefangene und deportierten diese nach Übersee, um schließlich mit Gewürzen, Zucker und reichem Gewinn nach Europa zurückzukehren."
Die Reeder von Nantes trugen schätzungsweise zehn Prozent zum transatlantischen Sklavenhandel bei. Sie deportierten, wie Octave Cestor sagt, eine Million Afrikaner. Ein Viertel starb schon auf der Überfahrt, und danach hatten die Überlebenden nicht mehr Rechte als ein "Möbelstück" - so bezeichnete sie jedenfalls der "code noir", das französische Sklavengesetzbuch von 1685.
Fast alle Spuren beseitigt
"Das Verrückte ist, dass die Bewohner von Nantes kaum je einen Sklaven zu Gesicht bekamen - obwohl aus ihrer Stadt die wichtigsten Menschenhändler Frankreichs stammten und alle Anteil am Profit hatten", meint Cestor. Das war aber nur ein Grund für das "schwarze Loch" in der kommunalen Erinnerung. Der sozialistische Lokalpolitiker erzählt, er sei in Martinique selbst "wie ein Weißer" erzogen worden. Als 22-Jähriger mit der Armee erstmals auf das französische Festland gekommen, sei er in der Kaserne von Nantes als "négro" begrüßt worden. Da begann er sich mit seiner Hautfarbe und seiner Herkunft zu befassen. Und landete bei der Sklaven-Geschichte. Bei seinen Nachforschungen in der Hafenstadt stellte Cestor fest, dass fast alle Spuren getilgt worden waren. "Die Leute wussten von nichts mehr. Einzelne Nachfahren der großen Reeder-Familien staunten in den achtziger Jahren selbst, als ich ihnen ausführte, womit ihre Vorfahren ihr Geld gemacht hatten."
Als Cestor und ein paar Universitätsforscher der Stadt unrühmliche Vergangenheit Nantes ans Tageslicht bringen wollten, versuchte die städtische Bourgeoisie von Anfang an, dies abzublocken. Sie wusste also doch - sonst hätte sie sich ja nicht dagegen gesträubt. Die Sklaven-Nachfahren ließen aber nicht mehr locker. Langsam nahm Nantes Kenntnis von seinem verdrängten Geschichtskapitel. Ende der neunziger Jahre wurde aber eine neu aufgestellte Sklavenstatue im stillgelegten Hafen von Nantes von Unbekannten mutwillig zerstört. "Sie gingen vor, wie man seinerzeit Sklaven strafte - hier eine Hand abgehackt, dort ein Arm ab", erinnert sich Cestor.
Heute ist Nantes landesweit führend bei der Aufarbeitung seiner Sklavengeschichte, während andere französische Häfen wie Bordeaux, La Rochelle oder Le Havre damit erst gerade beginnen. Im Stadtrat billigten die Linke und die Rechte zusammen unlängst einen Kredit von 6,5 Millionen Euro für den Bau eines großen Memorials zur Erinnerung an die Sklaverei an der Loire im Stadtzentrum. Es erinnert von fern an ein angedocktes Sklavenschiff.
Schüler werfen Blumen in die Loire
Das Denkmal soll in drei Jahren eingeweiht werden. Dann wird man in das Unterdeck steigen und eine Ahnung von den Schrecken der Vergangenheit bekommen können. Für jedes der 3000 aus Nantes ausgelaufenen Sklavenschiffe soll eine Plakette angebracht werden.
Am heutigen Mittwoch, an dem Frankreich des Verbrechens der Sklaverei gedenken soll, wird in der Hafenstadt mit mehreren offiziellen Veranstaltungen der Opfer der Sklaverei gedacht. So werden Schulkinder Blumen in die Loire werfen. "Das sind nur ein symbolischer Akt", räumt Cestor ein. "Aber da es in Nantes keine Spuren der Sklaverei mehr gibt, müssen wir sie uns wenigstens vorstellen und uns erinnern."
(Quelle: Frankfurter Rundschau)
robinhood - 10. Mai, 04:53