Brot = Müll
Brot = Müll
Der Film "We feed the world" beleuchtet den Wahnsinn der globalen Nahrungsmittel-Industrie
Brot als Abfall
Die Hühner werden ganz früh am Morgen gefangen, wenn es noch dunkel ist. Dann sind sie, die ihr kurzes Leben in abgeriegelten Riesenställen fristen, noch nicht hysterisch. Infernalischer Gestank, ohrenbetäubender Lärm. "Das schlimmste war, in eine Halle zu gehen, wo fünf Wochen lang Hühner in die ,Sagscharten' (Sägespäne) reingeschissen und gepisst haben. Das ist alles ganz, ganz weich, und irgendwann macht es ,hops' und du steigst auf ein totes Tier."
Erwin Wagenhofer erzählt über jenen Moment bei den Dreharbeiten zu seinem aktuellen Doku-Kinofilm "We feed the world", der ihn selbst am meisten schockierte. Schlimmer noch sei das gewesen, sagt er, und es klingt glaubhaft, als die vollautomatische Schlachthalle, in der die Tiere am laufenden Band betäubt, getötet, geköpft, gerupft, zerteilt und kühltruhen-gerecht eingeschweißt werden. Solche Maschinerien hat jeder schon mal im TV gesehen, der sich nur im entferntesten mit moderner Lebensmittelproduktion befasst hat. Sinnbild des Agro-Business. Aber es kommt halt noch dicker.
Filmer Wagenhofer hat sich auf die Spur "unserer" Lebensmittel gesetzt, die längst globalisiert hergestellt werden. Der Streifen startet in seinem Heimatland Österreich, beharkt Europas pestizidumnebelte Gemüsemaschine in Südeuropa, um dann den Zusammenhang zwischen hiesiger Massentierhaltung und dem Hunger in Entwicklungsländern zu illustrieren. Das meiste ist nicht neu, aber die unkommentierten eindrucksvollen Bilder und die Gesprächspartner, die Wagenhofer auftut, machen den Reiz aus.
Keine Spur von Misthaufen-Idylle
Fleischmarkt
Einstellung: Wogendes Getreidefeld, Österreich. Landwirt Franz Epp sinniert über das Bauernsterben, die Wachsen-oder- Weichen-Strategie der EU-Agrarpolitik, den Trend zur Industrialisierung auf dem Acker. Der Vater bewirtschaftet auskömmlich zwölf Hektar, er selbst muss über 70 davon unter den Mähdrescher nehmen, um rumzukommen. Von wegen "Im Märzen der Bauer..." plus Misthaufen-Idylle. "Das stimmt schon nachdenklich", sagt Epp.
Dann aber der echte Wahnsinn: Brot wandert lastwagenweise ins Müll-Heizwerk. Wien, erfährt man, entsorgt jeden Tag so viel nicht verkauftes Brot, wie Graz, die zweitgrößte Stadt des Landes, verbraucht. Zwei Millionen Kilo im Jahr. Brotmüll-Fahrer Hans Schrank bringt das Problem auf den Punkt: Weizen ist pro Tonne billiger als der Streusplitt für die Straße, den er sonst im Winterdienst karrt. "Wir sollten nicht nur immer sagen, das Schnitzel darf nur zwei Euro kosten. Und dann wundern sich alle Leute, warum wir Tierfabriken haben mit 20 000 Schweinen." Oder noch mehr.
Vor Frankreichs Küste illustriert Wagenhofer die Überfischung der Meere, in Südspanien den pestizidvergifteten Alltag der Tomaten-Gurken-Erdbeeren-Anbauer, in Rumänien die Umstellung von schmackhaften Sorten auf Hybrid-Gentechgemüse, in Brasilien, wie der Sojaanbau für Europas Rinder- und Schweinebatterien auf gerodeten Flächen den Urwald zerstört.
Gibt es ein System hinter dem Irrsinn? Wagenhöfer lässt Jean Ziegler, den UN-Sonderberichterstatter für das Menschenrecht auf Nahrung, sprechen. Der geißelt die Agrar-Subventionspolitik von EU und USA. Ihre 350 Milliarden Dollar jährlich brächten den Weltmarkt per Dumping durcheinander. Resultat: "Zerstörung der Agarwirtschaften" im Süden. Ziegler sagt: Die Weltlandwirtschaft, wie sie heute ist, könne, richtig strukturiert, ohne Probleme nicht nur sechs, sondern sogar zwölf Milliarden Menschen satt machen. Doch über 800 Millionen seien permanent unterernährt. "Das heißt: ein Kind, das heute an Hunger stirbt, wird ermordet."
So gut leben wie noch nie?
Und dann kommt Peter Brabeck zu Wort, der Chef von Nestlé, des größten Lebensmittelkonzerns der Welt. Er sagt: "Wir haben noch nie so gut gelebt, wir hatten noch nie so viel Geld, wir waren noch nie so gesund, wir haben noch nie so lange gelebt wie heute. Wir haben alles, was wir wollen."
Das wirkt noch lange nach, wenn die Leinwand dunkel ist.
INTERVIEW
"Die Konzerne dominieren"
Landwirtschaft unter Druck
Die Macht der Agrokonzerne kritisiert der Globalisierungsexperte Alexis Passadakis: Ihr Preisdumping macht der kleinbäuerlichen Landwirtschaft weltweit den Garaus.
Frankfurter Rundschau: Der Film "We Feed the World" appelliert auch an die Verbraucher, Verantwortung zu übernehmen. Welche Macht haben sie?
Alexis Passadakis: Leider ist es nur begrenzt möglich, dass einzelne Verbraucher durch Kaufentscheidungen beeinflussen können, wie Lebensmittel produziert werden. Was allerdings wichtig ist, und da können Verbraucher in der Tat eine große Rolle spielen, ist bei Kampagnen. Ich will damit nicht kleinreden, dass Menschen darauf achten sollten, welche Produkte sie kaufen. Aber man muss realistisch sein, das wird nur eine kleine Minderheit machen.
Sind die Bio-Marken der Discounter denn besser?
Die Biosiegel sind grundsätzlich eine gute Sache, weil die bestimmte Auflagen machen. Deshalb ist es eine gute Kaufentscheidung, sie zu bevorzugen. Aber solche Angebote entsprechen dennoch dem Leitbild der großen agro-industriellen Landwirtschaft. Es gibt noch relative viele Kleinbauern, die Biolebensmittel produzieren. Aber dadurch, dass die großen Bio-Discounter auf dem Markt auftreten, entsteht ein massiver Preisdruck. Der drängt viele kleinbäuerliche Betriebe an den Rand.
Wie fair ist Fair Trade?
Wichtig ist klarzustellen, unter welchen Bedingungen die Menschen auf der Südhalbkugel massiv leiden. Die Leute dort müssen vernünftige Löhne erhalten, um ihre Existenz zu sichern. Da hat das Transfairsiegel eine wichtige Rolle. Aber auch in Deutschland gibt es viele Menschen, die auf günstige Lebensmittel angewiesen sind, weil sie nur einen sehr kleinen Geldbeutel haben.
Sind an der ganzen Misere nun die Konzerne schuld?
Die spielen schon eine entscheidende Rolle, denn sie dominieren die Märkte. Ganz entscheidend ist, wer hinterher verkauft. Oft üben die Discounter Druck aus, sehr billige Lebensmittel zu produzieren. Der Druck führt zu Dumping - bei Preisen, Ökologie und im Sozialen. Billig ist Trumpf, da wird Schindluder getrieben. Ich würde den Konzernen den Schwarzen Peter zuschieben.
Führen uns die Konzerne bewusst in die Irre?
Lebensmittelskandale gibt es zuhauf. Der Film zeigt, dass da ein System dahinter steckt. Weil immer billiger produziert werden muss, kommt es zu Skandalen. Die sind nur die Spitze des Eisbergs und beleuchten den Alltag der Lebensmittelproduktion. (Quelle: Frankfurter Rundschau)
Der Film "We feed the world" beleuchtet den Wahnsinn der globalen Nahrungsmittel-Industrie
Brot als Abfall
Die Hühner werden ganz früh am Morgen gefangen, wenn es noch dunkel ist. Dann sind sie, die ihr kurzes Leben in abgeriegelten Riesenställen fristen, noch nicht hysterisch. Infernalischer Gestank, ohrenbetäubender Lärm. "Das schlimmste war, in eine Halle zu gehen, wo fünf Wochen lang Hühner in die ,Sagscharten' (Sägespäne) reingeschissen und gepisst haben. Das ist alles ganz, ganz weich, und irgendwann macht es ,hops' und du steigst auf ein totes Tier."
Erwin Wagenhofer erzählt über jenen Moment bei den Dreharbeiten zu seinem aktuellen Doku-Kinofilm "We feed the world", der ihn selbst am meisten schockierte. Schlimmer noch sei das gewesen, sagt er, und es klingt glaubhaft, als die vollautomatische Schlachthalle, in der die Tiere am laufenden Band betäubt, getötet, geköpft, gerupft, zerteilt und kühltruhen-gerecht eingeschweißt werden. Solche Maschinerien hat jeder schon mal im TV gesehen, der sich nur im entferntesten mit moderner Lebensmittelproduktion befasst hat. Sinnbild des Agro-Business. Aber es kommt halt noch dicker.
Filmer Wagenhofer hat sich auf die Spur "unserer" Lebensmittel gesetzt, die längst globalisiert hergestellt werden. Der Streifen startet in seinem Heimatland Österreich, beharkt Europas pestizidumnebelte Gemüsemaschine in Südeuropa, um dann den Zusammenhang zwischen hiesiger Massentierhaltung und dem Hunger in Entwicklungsländern zu illustrieren. Das meiste ist nicht neu, aber die unkommentierten eindrucksvollen Bilder und die Gesprächspartner, die Wagenhofer auftut, machen den Reiz aus.
Keine Spur von Misthaufen-Idylle
Fleischmarkt
Einstellung: Wogendes Getreidefeld, Österreich. Landwirt Franz Epp sinniert über das Bauernsterben, die Wachsen-oder- Weichen-Strategie der EU-Agrarpolitik, den Trend zur Industrialisierung auf dem Acker. Der Vater bewirtschaftet auskömmlich zwölf Hektar, er selbst muss über 70 davon unter den Mähdrescher nehmen, um rumzukommen. Von wegen "Im Märzen der Bauer..." plus Misthaufen-Idylle. "Das stimmt schon nachdenklich", sagt Epp.
Dann aber der echte Wahnsinn: Brot wandert lastwagenweise ins Müll-Heizwerk. Wien, erfährt man, entsorgt jeden Tag so viel nicht verkauftes Brot, wie Graz, die zweitgrößte Stadt des Landes, verbraucht. Zwei Millionen Kilo im Jahr. Brotmüll-Fahrer Hans Schrank bringt das Problem auf den Punkt: Weizen ist pro Tonne billiger als der Streusplitt für die Straße, den er sonst im Winterdienst karrt. "Wir sollten nicht nur immer sagen, das Schnitzel darf nur zwei Euro kosten. Und dann wundern sich alle Leute, warum wir Tierfabriken haben mit 20 000 Schweinen." Oder noch mehr.
Vor Frankreichs Küste illustriert Wagenhofer die Überfischung der Meere, in Südspanien den pestizidvergifteten Alltag der Tomaten-Gurken-Erdbeeren-Anbauer, in Rumänien die Umstellung von schmackhaften Sorten auf Hybrid-Gentechgemüse, in Brasilien, wie der Sojaanbau für Europas Rinder- und Schweinebatterien auf gerodeten Flächen den Urwald zerstört.
Gibt es ein System hinter dem Irrsinn? Wagenhöfer lässt Jean Ziegler, den UN-Sonderberichterstatter für das Menschenrecht auf Nahrung, sprechen. Der geißelt die Agrar-Subventionspolitik von EU und USA. Ihre 350 Milliarden Dollar jährlich brächten den Weltmarkt per Dumping durcheinander. Resultat: "Zerstörung der Agarwirtschaften" im Süden. Ziegler sagt: Die Weltlandwirtschaft, wie sie heute ist, könne, richtig strukturiert, ohne Probleme nicht nur sechs, sondern sogar zwölf Milliarden Menschen satt machen. Doch über 800 Millionen seien permanent unterernährt. "Das heißt: ein Kind, das heute an Hunger stirbt, wird ermordet."
So gut leben wie noch nie?
Und dann kommt Peter Brabeck zu Wort, der Chef von Nestlé, des größten Lebensmittelkonzerns der Welt. Er sagt: "Wir haben noch nie so gut gelebt, wir hatten noch nie so viel Geld, wir waren noch nie so gesund, wir haben noch nie so lange gelebt wie heute. Wir haben alles, was wir wollen."
Das wirkt noch lange nach, wenn die Leinwand dunkel ist.
INTERVIEW
"Die Konzerne dominieren"
Landwirtschaft unter Druck
Die Macht der Agrokonzerne kritisiert der Globalisierungsexperte Alexis Passadakis: Ihr Preisdumping macht der kleinbäuerlichen Landwirtschaft weltweit den Garaus.
Frankfurter Rundschau: Der Film "We Feed the World" appelliert auch an die Verbraucher, Verantwortung zu übernehmen. Welche Macht haben sie?
Alexis Passadakis: Leider ist es nur begrenzt möglich, dass einzelne Verbraucher durch Kaufentscheidungen beeinflussen können, wie Lebensmittel produziert werden. Was allerdings wichtig ist, und da können Verbraucher in der Tat eine große Rolle spielen, ist bei Kampagnen. Ich will damit nicht kleinreden, dass Menschen darauf achten sollten, welche Produkte sie kaufen. Aber man muss realistisch sein, das wird nur eine kleine Minderheit machen.
Sind die Bio-Marken der Discounter denn besser?
Die Biosiegel sind grundsätzlich eine gute Sache, weil die bestimmte Auflagen machen. Deshalb ist es eine gute Kaufentscheidung, sie zu bevorzugen. Aber solche Angebote entsprechen dennoch dem Leitbild der großen agro-industriellen Landwirtschaft. Es gibt noch relative viele Kleinbauern, die Biolebensmittel produzieren. Aber dadurch, dass die großen Bio-Discounter auf dem Markt auftreten, entsteht ein massiver Preisdruck. Der drängt viele kleinbäuerliche Betriebe an den Rand.
Wie fair ist Fair Trade?
Wichtig ist klarzustellen, unter welchen Bedingungen die Menschen auf der Südhalbkugel massiv leiden. Die Leute dort müssen vernünftige Löhne erhalten, um ihre Existenz zu sichern. Da hat das Transfairsiegel eine wichtige Rolle. Aber auch in Deutschland gibt es viele Menschen, die auf günstige Lebensmittel angewiesen sind, weil sie nur einen sehr kleinen Geldbeutel haben.
Sind an der ganzen Misere nun die Konzerne schuld?
Die spielen schon eine entscheidende Rolle, denn sie dominieren die Märkte. Ganz entscheidend ist, wer hinterher verkauft. Oft üben die Discounter Druck aus, sehr billige Lebensmittel zu produzieren. Der Druck führt zu Dumping - bei Preisen, Ökologie und im Sozialen. Billig ist Trumpf, da wird Schindluder getrieben. Ich würde den Konzernen den Schwarzen Peter zuschieben.
Führen uns die Konzerne bewusst in die Irre?
Lebensmittelskandale gibt es zuhauf. Der Film zeigt, dass da ein System dahinter steckt. Weil immer billiger produziert werden muss, kommt es zu Skandalen. Die sind nur die Spitze des Eisbergs und beleuchten den Alltag der Lebensmittelproduktion. (Quelle: Frankfurter Rundschau)
robinhood - 10. Mai, 04:29