Die Mini-Mafiosi
Die Mini-Mafiosi
Dicke Kuh, Fettwanst, Blödi - Mobbing gibt es schon bei ABC-Schützen. Warum traktieren die Minis andere und wie lässt sich die Schikane stoppen? Psychologen fanden Antworten
Gewalt im Kleinen: Auch Grundschüler sind Opfer von Mobbing
Frederico ist sieben und so dick wie eine Kuh. Das jedenfalls finden seine Mitschüler, die ihn wegen der Speckröllchen hänseln. "Frederi-kuh" oder "Frederikuh stinkt... weitersagen", so geht das täglich. Anfangs schleudert er den kleinen Nervensägen noch ein "Haltet die Klappe!" entgegen, das aber macht alles nur noch schlimmer. Sie kichern hinter seinem Rücken, klauen die Turnsachen, zerreißen Hefte, schmieren Klebstoff auf den Stuhl und machen Kleinholz aus den Bleistiften. Frederico hat Angst vor jedem nächsten Morgen. "Ich will da nicht mehr hin", beschwört er Mama. Warum das so ist, darüber schweigt der Kleine lieber. Aus Furcht, die anderen könnten ihn noch stärker ausgrenzen, wenn er petzt.
Fiese Piesackerei
Mobbing ist Gewalt mit System - etwas, das man Kindern, die sich mit dem ABC, Fingerzählen und Kuscheltieren beschäftigen, eigentlich nicht zutraut. Wie gehen Kinder wirklich miteinander um? Das wollten Münchener Entwicklungspsychologen wissen und befragten die Schüler einer Schwabinger Grundschule. Wer piesackt wen? Wer fühlt sich ausgegrenzt? Und wer guckt am liebsten nur zu?
Das Ergebnis der Studie ergibt ein anderes Bild vom vermeintlich süßen Nachwuchs: "Die Kinder wissen sehr genau, wie man jemandem zusetzt", sagt die Studienleiterin Dr. Mechthild Schäfer im Netdoktor-Gespräch. Auf ihre Art seien die Kleinen da schon echte Profis: Sie lassen Federmäppchen verschwinden, bringen böse Gerüchte in Umlauf und schwärzen unbeliebte Mitschüler bei der Lehrerin an.
Wehrlose Opfer
Das allein könnte man noch als alterstypische Neckereien ansehen. "Aber wenn sich das auf ein Kind fokussiert, dann ist das Mobbing", erklärt die Psychologin. Fachleute setzen einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten als Psycho-Quälerei an. Frederico fühlte sich wie eine wandelnde Zielscheibe. Hatten sich die anderen erst einmal auf ihn eingeschossen, gab es kein Entrinnen. "Die haben mich echt fertig gemacht", erinnert er sich.
Den Eltern von der Schikane erzählen, sich den Lehrern anvertrauen, Verbündete suchen und den Spieß herumdrehen, oder den kleinen Fieslingen einfach eine reinhauen - keine Lösung, befand Frederico. Das Problem ist, dass "das Opfer gar nichts tun kann", sagt Schäfer, denn jede Reaktion motiviere die Drangsalierer nur zusätzlich. Wichtiger ist es, sich auf die Täter zu konzentrieren. "Man muss den Kindern klar machen, was sie da anrichten", sagt Schäfer. Denn im Gegensatz zu erwachsenen Mobbern haben die kleinen Mafiosi noch keine Ahnung, was das bedeutet und für Folgen hat. Das Kind merkt nur, dass es sich auf diese Weise Beachtung und Anerkennung verschaffen kann. Es ist cool - auf Kosten des Opfers.
Keine Fragen, keine Antworten
Mobbing beeinflusst nicht nur die Seele der Kleinen, sondern macht auch körperlich krank. Frederico hatte Bauchweh am Morgen und tat nachts kaum ein Auge zu. Der Besuch beim Kinderarzt brachte nichts, organisch war alles in Ordnung. Frederico sagt: "Ich hatte auch keine Ahnung, woher das kam." Ob es Probleme mit den Mitschülern gab? Niemand hat das gefragt, auch kein Lehrer.
Die Machenschaften der Kinder gehen meist an den Erwachsenen vorbei oder werden als harmlos abgetan. Doch in jungen Jahren ist den wenigsten ein dickes Fell gewachsen. "Schon Witze über die Klamotten gehen einem ganz schön an die Substanz", erinnert sich Frederico, "ein Dauerstress ist das."
Zielscheiben...
Dabei müssen die Zielscheiben weder schlecht gekleidet noch mollig sein. "Jeder kann Opfer werden", sagt Schäfer. Etwa jedes siebte Kind mache einmal diese Erfahrung, so ein Ergebnis ihrer Studie. Meist geraten der Neue in der Klasse oder der begabte Außenseiter, der nicht zum Rest passt, in die Rolle des Sündenbocks.
"Je starrer die Strukturen, desto eher kann es Mobbing geben", warnt Schäfer. Wenn in Klassenzimmer immer dieselben beieinander sitzen und tuscheln, die Cliquen nach außen hin immer dichtere Mauern aufbauen, haben Neulinge und Außenseiter keine Chance. Gerade am Anfang der Schulzeit hätten es die Lehrer noch in der Hand, für ein harmonisches Klassenklima zu sorgen. Allein die Kinder ab und zu Plätze tauschen zu lassen, helfe ungemein.
... Täter, Maulhelden
Die Täter lernen ihr aggressives Verhalten dagegen schon im Elternhaus. Wenn der Vater mit Beleidigungen um sich wirft, statt sachlich zu bleiben, wenn Familienmitglieder mit eisigem Schweigen ausgegrenzt werden, statt sie ins Diskussionsboot zu holen, dann gehen die Kinder auf die gleiche Weise vor. In der Schule erfahren sie nicht nur, dass sie sich mit Aggression durchsetzen können, sondern dafür auch noch Zustimmung ernten. "Ungefähr 30 Prozent in einer Klasse assoziieren sich gerne mit einem Täter", erklärt die Psychologin. Sie sonnten sich im "Glorienschein" des Aggressors. Bei vielen hinterlässt die Unterstützung einen bleibenden Eindruck: Ein Drittel der Mobber macht auch in der nächstes Schule weiter mit dem Terror.
Reden, aber offen
Lehrer sollten sich den Täter vorknöpfen und ihm klar machen, dass solches Verhalten nicht geduldet wird, empfiehlt Schäfer. Die Taten aller Beteiligten - auch der Glotzer und Maulhelden - müssen offen in der Klasse besprochen werden. Dass Opfer die Schule wechseln, hält die Psychologin nicht für sinnvoll. Im neuen Umfeld würden die Kinder nur noch ängstlicher und wahrscheinlich erneut zum Opfer. "Eigentlich müsste man die Täter aus der Klasse nehmen", meint Schäfer. Schulrechtlich sei das allerdings schwierig.
Wilder Willi, ruhiger Schneck
Am besten greift man ins Geschehen ein, bevor es zum Mobbing kommt. Und dafür entwickelten Psychologen des Heidelberger Präventionszentrums ein Programm, das derzeit an mehr als 100 Grundschulen in Deutschland angewendet wird. Kinder sollen lernen, vernünftig miteinander umzugehen, sich ohne Gewalt auszudrücken und Konflikte friedlich zu lösen. "Faustlos" heißt die Methode. Inhaltlich aufgebaut ist das Ganze wie ein Unterrichtsfach. 51 Lektionen, verteilt über drei Jahre.
Spielpartner sind Handpuppen. Wilder Willi, Ruhiger Schneck - die Namen sind Programm. Wenn Willi mal wieder ausflippt, muss Schneck den Dampf aus der Situation nehmen. Beruhige Dich erstmal, säuselt der Plüschkamerad, mach mal Pause und denk nach. Das versteht jedes Kind.
Außerdem geht es darum, die Gefühle des Gegenübers überhaupt richtig zu deuten. "Viele Kinder können Schmerz nicht lesen", erklärt Trainerin Gabriele Ullrich, die Lehrer in "Faustlos" schult. Bei einer Rauferei etwa könnte der Kleine den schmerzverzerrten Ausdruck seines Gegners für Ärger halten - und erst recht zuschlagen. Anhand von Beispielfotos sollen die Kleinen einen Gesichtsausdruck deuten lernen. Mund breit, Wangen hoch, Augen klein? Fröhlich! Augen gesenkt, Mundwinkel und Schultern hängen? Klar, traurig!
Auch für ihre Wut sollen die Kinder Ausdrucksmöglichkeiten finden, und zwar ohne den Mitschüler mit Fäusten oder Worten zu traktieren. Schon ein einfaches "Ich bin jetzt wütend!" sei der erste Schritt zum mobbingfreien Klassenzimmer, glauben die Experten. Bei Frederico hatte der Terror im Gymnasium schlagartig ein Ende. "Jeder war mit Lernen beschäftigt und auf die Hilfe des Anderen angewiesen", freut er sich. Es gab keine Täter mehr. Und auch keine Zielscheiben.
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Dicke Kuh, Fettwanst, Blödi - Mobbing gibt es schon bei ABC-Schützen. Warum traktieren die Minis andere und wie lässt sich die Schikane stoppen? Psychologen fanden Antworten
Gewalt im Kleinen: Auch Grundschüler sind Opfer von Mobbing
Frederico ist sieben und so dick wie eine Kuh. Das jedenfalls finden seine Mitschüler, die ihn wegen der Speckröllchen hänseln. "Frederi-kuh" oder "Frederikuh stinkt... weitersagen", so geht das täglich. Anfangs schleudert er den kleinen Nervensägen noch ein "Haltet die Klappe!" entgegen, das aber macht alles nur noch schlimmer. Sie kichern hinter seinem Rücken, klauen die Turnsachen, zerreißen Hefte, schmieren Klebstoff auf den Stuhl und machen Kleinholz aus den Bleistiften. Frederico hat Angst vor jedem nächsten Morgen. "Ich will da nicht mehr hin", beschwört er Mama. Warum das so ist, darüber schweigt der Kleine lieber. Aus Furcht, die anderen könnten ihn noch stärker ausgrenzen, wenn er petzt.
Fiese Piesackerei
Mobbing ist Gewalt mit System - etwas, das man Kindern, die sich mit dem ABC, Fingerzählen und Kuscheltieren beschäftigen, eigentlich nicht zutraut. Wie gehen Kinder wirklich miteinander um? Das wollten Münchener Entwicklungspsychologen wissen und befragten die Schüler einer Schwabinger Grundschule. Wer piesackt wen? Wer fühlt sich ausgegrenzt? Und wer guckt am liebsten nur zu?
Das Ergebnis der Studie ergibt ein anderes Bild vom vermeintlich süßen Nachwuchs: "Die Kinder wissen sehr genau, wie man jemandem zusetzt", sagt die Studienleiterin Dr. Mechthild Schäfer im Netdoktor-Gespräch. Auf ihre Art seien die Kleinen da schon echte Profis: Sie lassen Federmäppchen verschwinden, bringen böse Gerüchte in Umlauf und schwärzen unbeliebte Mitschüler bei der Lehrerin an.
Wehrlose Opfer
Das allein könnte man noch als alterstypische Neckereien ansehen. "Aber wenn sich das auf ein Kind fokussiert, dann ist das Mobbing", erklärt die Psychologin. Fachleute setzen einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten als Psycho-Quälerei an. Frederico fühlte sich wie eine wandelnde Zielscheibe. Hatten sich die anderen erst einmal auf ihn eingeschossen, gab es kein Entrinnen. "Die haben mich echt fertig gemacht", erinnert er sich.
Den Eltern von der Schikane erzählen, sich den Lehrern anvertrauen, Verbündete suchen und den Spieß herumdrehen, oder den kleinen Fieslingen einfach eine reinhauen - keine Lösung, befand Frederico. Das Problem ist, dass "das Opfer gar nichts tun kann", sagt Schäfer, denn jede Reaktion motiviere die Drangsalierer nur zusätzlich. Wichtiger ist es, sich auf die Täter zu konzentrieren. "Man muss den Kindern klar machen, was sie da anrichten", sagt Schäfer. Denn im Gegensatz zu erwachsenen Mobbern haben die kleinen Mafiosi noch keine Ahnung, was das bedeutet und für Folgen hat. Das Kind merkt nur, dass es sich auf diese Weise Beachtung und Anerkennung verschaffen kann. Es ist cool - auf Kosten des Opfers.
Keine Fragen, keine Antworten
Mobbing beeinflusst nicht nur die Seele der Kleinen, sondern macht auch körperlich krank. Frederico hatte Bauchweh am Morgen und tat nachts kaum ein Auge zu. Der Besuch beim Kinderarzt brachte nichts, organisch war alles in Ordnung. Frederico sagt: "Ich hatte auch keine Ahnung, woher das kam." Ob es Probleme mit den Mitschülern gab? Niemand hat das gefragt, auch kein Lehrer.
Die Machenschaften der Kinder gehen meist an den Erwachsenen vorbei oder werden als harmlos abgetan. Doch in jungen Jahren ist den wenigsten ein dickes Fell gewachsen. "Schon Witze über die Klamotten gehen einem ganz schön an die Substanz", erinnert sich Frederico, "ein Dauerstress ist das."
Zielscheiben...
Dabei müssen die Zielscheiben weder schlecht gekleidet noch mollig sein. "Jeder kann Opfer werden", sagt Schäfer. Etwa jedes siebte Kind mache einmal diese Erfahrung, so ein Ergebnis ihrer Studie. Meist geraten der Neue in der Klasse oder der begabte Außenseiter, der nicht zum Rest passt, in die Rolle des Sündenbocks.
"Je starrer die Strukturen, desto eher kann es Mobbing geben", warnt Schäfer. Wenn in Klassenzimmer immer dieselben beieinander sitzen und tuscheln, die Cliquen nach außen hin immer dichtere Mauern aufbauen, haben Neulinge und Außenseiter keine Chance. Gerade am Anfang der Schulzeit hätten es die Lehrer noch in der Hand, für ein harmonisches Klassenklima zu sorgen. Allein die Kinder ab und zu Plätze tauschen zu lassen, helfe ungemein.
... Täter, Maulhelden
Die Täter lernen ihr aggressives Verhalten dagegen schon im Elternhaus. Wenn der Vater mit Beleidigungen um sich wirft, statt sachlich zu bleiben, wenn Familienmitglieder mit eisigem Schweigen ausgegrenzt werden, statt sie ins Diskussionsboot zu holen, dann gehen die Kinder auf die gleiche Weise vor. In der Schule erfahren sie nicht nur, dass sie sich mit Aggression durchsetzen können, sondern dafür auch noch Zustimmung ernten. "Ungefähr 30 Prozent in einer Klasse assoziieren sich gerne mit einem Täter", erklärt die Psychologin. Sie sonnten sich im "Glorienschein" des Aggressors. Bei vielen hinterlässt die Unterstützung einen bleibenden Eindruck: Ein Drittel der Mobber macht auch in der nächstes Schule weiter mit dem Terror.
Reden, aber offen
Lehrer sollten sich den Täter vorknöpfen und ihm klar machen, dass solches Verhalten nicht geduldet wird, empfiehlt Schäfer. Die Taten aller Beteiligten - auch der Glotzer und Maulhelden - müssen offen in der Klasse besprochen werden. Dass Opfer die Schule wechseln, hält die Psychologin nicht für sinnvoll. Im neuen Umfeld würden die Kinder nur noch ängstlicher und wahrscheinlich erneut zum Opfer. "Eigentlich müsste man die Täter aus der Klasse nehmen", meint Schäfer. Schulrechtlich sei das allerdings schwierig.
Wilder Willi, ruhiger Schneck
Am besten greift man ins Geschehen ein, bevor es zum Mobbing kommt. Und dafür entwickelten Psychologen des Heidelberger Präventionszentrums ein Programm, das derzeit an mehr als 100 Grundschulen in Deutschland angewendet wird. Kinder sollen lernen, vernünftig miteinander umzugehen, sich ohne Gewalt auszudrücken und Konflikte friedlich zu lösen. "Faustlos" heißt die Methode. Inhaltlich aufgebaut ist das Ganze wie ein Unterrichtsfach. 51 Lektionen, verteilt über drei Jahre.
Spielpartner sind Handpuppen. Wilder Willi, Ruhiger Schneck - die Namen sind Programm. Wenn Willi mal wieder ausflippt, muss Schneck den Dampf aus der Situation nehmen. Beruhige Dich erstmal, säuselt der Plüschkamerad, mach mal Pause und denk nach. Das versteht jedes Kind.
Außerdem geht es darum, die Gefühle des Gegenübers überhaupt richtig zu deuten. "Viele Kinder können Schmerz nicht lesen", erklärt Trainerin Gabriele Ullrich, die Lehrer in "Faustlos" schult. Bei einer Rauferei etwa könnte der Kleine den schmerzverzerrten Ausdruck seines Gegners für Ärger halten - und erst recht zuschlagen. Anhand von Beispielfotos sollen die Kleinen einen Gesichtsausdruck deuten lernen. Mund breit, Wangen hoch, Augen klein? Fröhlich! Augen gesenkt, Mundwinkel und Schultern hängen? Klar, traurig!
Auch für ihre Wut sollen die Kinder Ausdrucksmöglichkeiten finden, und zwar ohne den Mitschüler mit Fäusten oder Worten zu traktieren. Schon ein einfaches "Ich bin jetzt wütend!" sei der erste Schritt zum mobbingfreien Klassenzimmer, glauben die Experten. Bei Frederico hatte der Terror im Gymnasium schlagartig ein Ende. "Jeder war mit Lernen beschäftigt und auf die Hilfe des Anderen angewiesen", freut er sich. Es gab keine Täter mehr. Und auch keine Zielscheiben.
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robinhood - 18. Jan, 09:08